Große Pause
Teil 7 der LangzeitreportageGroße PauseMeßstetten: Tausende Asylsuchende als Nachbarn
In Europa sind die Grenzen dicht. Nur noch wenige Menschen können nach Deutschland fliehen.
Im Herbst 2015 waren über 3.500 Menschen in der Erstaufnahmestelle in Meßstetten. Jetzt sind es etwa 300.
Die Unterkunft leert sich. Zeit zum Aufräumen, Luftholen und Nachdenken. Denn noch ist nicht entschieden, ob auch 2017 hier Flüchtlinge leben sollen. Meßstetten ist sich uneinig.
Eine Langzeitbeobachtung
von Sandra Müller und Katharina Thoms
Nominiert für den Grimme Online Award 2015.
Dieser Teil der Reportage dauert rund 10 Minuten.
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Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 8
April 2016 | August 2015
Das große Warten
Es gibt Tage in Meßstetten, da kommt nur noch ein einziger neuer Flüchtling an. Im Sommer waren es oft über hundert am Tag.
Und viele fragen sich: Wird die Erstaufnahmestelle schließen, wenn nicht bald wieder Flüchtlinge kommen?
Polizist Butz: Nichts zu tun
Nichts zu tun."Es ist arg ruhig"
Vorfälle mit Asylsuchenden sind selten geworden.
Nicht nur in der Erstaufnahmestelle.
Auch in den Meßstetter Supermärkten.
Seit nur noch einige hundert Asylsuchende da sind, gibt es deutlich weniger Diebstähle:
Oktober 2015 73
März 2016 24
In den Supermarkt kommt Butz deshalb fast nur noch privat. Zum Einkaufen.
Ladenbesitzerin Kästle: Wenig zu schwätzen.
Wenig zu schwätzen."Ich glaub, die LEA wird zugemacht."
Nicht einmal, als im April ein großer Prozess beginnt:
Vier Flüchtlinge sind angeklagt. Sie sollen im November eine Massenschlägerei in der Meßstetter Unterkunft angezettelt haben. Kaum jemand im Ort redet darüber.
Kästle ist sicher: Die Landeserstaufnahmstelle (LEA) in der ehemaligen Kaserne wird bald dicht gemacht.
Gemeinderat Sauter: Viel zu bedenken
Viel zu bedenken."Der Großteil ist dafür."
Baden-Württemberg möchte die Erstaufnahmestelle hier weiter betreiben. Einige Meßstetter könnten sich aber vorstellen, die Ex-Kaserne jetzt schon für anderes zu nutzen.
Die Gemeinderäte wägen nun ab:
Soll es einen Bürgerentscheid dazu geben? Die Zeit drängt.
Asylbearbeiterin Schreyeck: Entschieden.
Entschieden."Die Arbeit wird nicht weniger."
Sie verlässt die Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Meßstetten. Schreyeck wollte nicht länger warten, bis das Amt eine Entscheidung getroffen hat.
Sie bearbeitet jetzt in Sigmaringen Asylanträge. Das Bundesamt hat dort eine neue Außenstelle eröffnet.
Schreyeck baut das Amt dort mit auf.
Entscheidung für Meßstetten
Teil 8 der LangzeitreportagePrüfungsphaseMeßstetten: Tausende Flüchtlinge als Nachbarn
Der Meßstetter Gemeinderat verhandelt erstmals öffentlich, wie es mit der Landeserstaufnahmestelle weiter gehen soll.
Baden-Württemberg will ein Jahr verlängern.
Einige Gemeinderäte wünschen sich deshalb einen Bürgerentscheid. Die Mehrheit stimmt jedoch dagegen.
Mehr wird nicht entschieden.
Stattdessen will man weiter prüfen, was das eigentlich für die Stadt bedeutet: Ein weiteres Jahr mit einer Erstaufnahmestelle.
Eine Langzeitbeobachtung
von Sandra Müller und Katharina Thoms
Nominiert für den Grimme Online Award 2015.
Dieser Teil der Reportage dauert rund 10 Minuten.
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Flüchtlinge in Meßstetten als Wirtschaftsfaktor
Flüchtlinge als WirtschaftsfaktorWas Meßstetten 2016 für die Flüchtlinge bekommt und ausgibt.
Denn die Asylsuchenden gelten als reguläre Einwohner.
Meßstetten bekommt 2016 deshalb mehr Geld vom Land aus dem kommunalen Finanzausgleich. Außerdem kassiert die Stadt Wassergebühren von der Erstaufnahmestelle. Zuletzt hat sie damit einen Überschuss erwirtschaftet.
Einzige große Ausgabe: Meßstetten muss zusätzlich jemanden bezahlen, der die Flüchtlinge melderechtlich erfasst.
Die Stadt muss wegen der Flüchtlinge auch einige Straßen häufiger reinigen. Aber was das kostet? "So wenig, dass man es nicht beziffern kann", sagt der Bürgermeister.
* Wenn 1.500 Flüchtlinge da sind.
** Steuern sind schon abgezogen.
Quelle: Stadt Meßstetten
Was der Betrieb der Erstaufnahme in Meßstetten 2015 gekostet hat.
Bund, Land und Kreis bezahlen dafür. Also die Bürger. Mit ihren Steuern. 2015 waren es insgesamt 24,8 Millionen Euro.
Doch wofür wurde das Geld ausgegeben? Wer hat profitiert?
* Darin: Kosten für Küchenpersonal nur als Näherungswerte.
** Mindestwert, weil Aufträge zum Teil nicht gesondert ausgewiesen.
Taschengeld für Flüchtlinge
So viel Taschengeld bekommen Flüchtlinge pro Monat:
Alleinstehende 143 Euro
Ehepartner 129 Euro
Kinder über 18 113 Euro
Kinder 14 bis 17 85 Euro
Kinder 6 bis 13 92 Euro
Kinder unter 5 84 Euro
(Quelle: §14 des Asylbewerberleistungsgesetzes)
In Zukunft will Baden-Württemberg kein Bargeld mehr an Flüchtlinge auszahlen. Sie sollen stattdessen eine Guthabenkarte bekommen.
Wo geben Flüchtlinge ihr Geld aus?
Insider berichten aber: Zu Spitzenzeiten haben einige Supermärkte zwischen 15.000 und 20.000 Euro mehr Umsatz im Monat gemacht.
In den Läden wurde auch deutlich mehr gestohlen. In ganz Meßstetten zählte die Polizei:
2015 551 Diebstähle
2014 53 Diebstähle
Im Schnitt wurden Waren im Wert von 16 Euro gestohlen.
Geld für Beschäftigte
Eine von ihnen: Ivanka Nakicevic. Sie arbeitet als Sozialbetreuerin.
Der Job war für sie ein Glücksfall. Im Oktober 2014 hat sie angefangen. Ihre Aufgabe: Flüchtlinge betreuen, Zimmer zuweisen, Transfers in andere Unterkünfte organisieren.
"Ich bin froh, dass ich da rein gekommen bin," sagt sie.
Geld für DienstleisterBeispiel: Das Backhaus Mahl.
"2015 haben wir damit gut 50.000 Euro verdient," sagt Mahl.
Sonstige Ausgaben
Insgesamt wurden 4,3 Mio. Euro gezahlt, über die Regierungspräsidium und Kreis nur ungenaue oder keine Angaben gemacht haben.
Bezahlt wurde von dem Geld z.B.:
Strom
Wasser
Heizung
Computer
Möbel
Büromaterial
Gartenpflege
Waldpädagogik
Begrenzt offen
Teil 9 der LangzeitreportageBegrenzt offenMeßstetten: Tausende Flüchtlinge als Nachbarn
Meßstettens Gemeinderat entscheidet:
Das Land Baden-Württemberg darf ein weiteres Jahr lang Flüchtlinge in der ehemaligen Kaserne unterbringen.
23 Gemeinderäte sind dafür.
Einer stimmt dagegen. Zwei enthalten sich.
Und Meßstetten stellt Bedingungen:
Ende 2017 ist endgültig Schluss.
Nicht mehr als 500 Flüchtlinge dürfen dort leben.
Für die Meßstetter Bürger ist das kaum noch ein Thema.
Eine Langzeitbeobachtung
von Sandra Müller und Katharina Thoms
Nominiert für den Grimme Online Award 2015.
Nominiert für den Deutschen Radiopreis 2016.
Dieser Teil der Reportage dauert rund 15 Minuten.
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Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8
Wieder eine Bürgerinformation
In der Unterkunft leben noch 214 Asylsuchende - so wenige wie seit 20 Monaten nicht mehr. Die Meßstetter bekommen nur noch wenig von ihnen mit.
Die Bürgerinfo über die Zukunft der Erstaufnahmestelle ist nur mäßig besucht. Wer da ist, wünscht sich weiter Hilfe für Asylsuchende. Ohne Bedingungen. Ohne Obergrenzen.
Helfer Sauter: Helfen bereichert.
Ex-Soldat und EhrenamtlicherAlfred Sauter"Eine Bereicherung für mein Leben"
Die Erstaufnahmestelle bleibt noch ein Jahr.
Das würde auch Alfred Sauter gern. Ob als Koordinator im Begegnungszentrum oder als Ehrenamtlicher, entscheidet sich noch.
Wichtig ist jetzt: Er hat wieder mehr Zeit für die Flüchtlinge.
Zum Fußball spielen, Kaffee trinken, einen Schwatz halten.
Polizist Butz: Zahlen sind nicht alles.
Polizist und AnsprechpartnerKarl Butz"Es fühlt sich länger an als es war."
Karl Butz war vom ersten Tag an als Polizist in der Erstaufnahmestelle Meßstetten. Er arbeitet gern dort.
Gerne auch bis Ende 2017.
Zur Zeit ist es ruhig.
Doch Butz ist sicher:
Das wird sich bald wieder ändern.
Ladenbesitzerin Kästle: "Geschimpft wird gar nicht mehr."
Ladenbesitzerin und NachrichtenzentraleManuela Kästle"Die LEA ist nicht mehr Hauptthema"
"Es ist ruhig geworden," sagt Manuela Kästle.
In der Stadt sieht man nur noch wenige Asylsuchende.
Längst ist das eigene Leben wieder wichtiger als das der Fremden.
Nach zwei Jahren
Und was bleibt?
24.438 Männer, Frauen und Kinder haben seit Oktober 2014 im kleinen Meßstetten Asyl gesucht.
Hat das den Ort verändert?
Vielleicht. Ein wenig.
Zwei Jahre.
Zwischen Herausforderung und Pragmatismus.
Zwischen Zufriedenheit und Gleichgültigkeit.
Zwei Jahre Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Meßstetten.
Die Webdoku zeigt wie sich die Kleinstadt auf der Schwäbischen Alb seit 2014 durch Tausende Asylsuchende in der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge verändert.